Das LIGA-Verfahren (Abkürzung für: Lithographie, Galvanik und Abformung) ist gut geeignet zur Herstellung von Mikrostrukturen mit hohen Aspektverhältnissen in Kunststoffen oder Metallen. Es ermöglicht die Herstellung von Mikrostrukturen mit einer Höhe von bis zu einigen Millimetern mit Aspektverhältnissen von bis zu über 100. Die Strukturen haben parallele Seitenwände mit Oberflächenrauigkeiten im 15 nm-Bereich. Die Geometrie der Strukturen kann beim Elektronenstrahlschreiben der benötigten Röntgenabsorbermasken relativ frei gewählt werden.
Das LIGA-Verfahren ist für die Herstellung von refraktiven (= brechenden) Röntgenlinsen besonders geeignet, weil sich damit hunderte von in einer Reihe stehenden Einzellinsenelementen mit glatten Seitenwänden und Krümmungsradien im Bereich weniger Mikrometer in einem Lithographieschritt fertigen lassen. Refraktive Röntgenlinsen aus Polymeren werden im LIGA-Verfahren in SU-8-Resist hergestellt. Der hochempfindliche Negativresist SU-8 ist gut transparent für Röntgenlicht und im ausgehärteten Zustand äußerst beständig gegen Röntgenbestrahlung. Dadurch können die Röntgenlinsen lange im Röntgenstrahl genutzt werden. Für Photonenenergie über etwa 50 keV werden CRLs aus Nickel eingesetzt [Naz 2007].
Folgende Typen von refraktiven Röntgenlinsen (engl.: Compound Refractive Lens, CRL) lassen sich unterscheiden:
Fresnel-Linsen | Multi-CRLs | Mosaik-Linsen | Clessidra- und Prismenlinsen |
Parabolische, refraktive Röntgenlinsen mit Linien- oder Punktfokus
Zur Vermeidung von sphärischer Aberration müssen die brechenden Oberflächen eine parabolische Form haben, sollen sie parallel zur optischen Achse einfallendes Röntgenlicht in einen Linien- oder Punktfokus abbilden. Linsen mit einem Linienfokus stehen senkrecht auf dem Substrat (Abb. 1, hier Typ A genannt). Linsen mit Punktfokus bestehen aus Linsen mit horizontalem Linienfokus und aus Linsen mit vertikalem Linienfokus, deren Fokusebenen zusammenfallen, so dass sich ein Punktfokus ergibt. Dazu können Linsenreihen mit Linienfokus unter ±45° zum Substrat gefertigt werden. Es gibt dabei diese möglichen Anordnungen: Entweder stehen die Linsenelemente mit horizontalem bzw. vertikalem Linienfokus räumlich getrennt hintereinander (Abb. 1, Typ B) oder sie stehen abwechselnd (Abb. 1, Typ C). Typ B hat den Vorteil, dass sich von den Enden her leicht Linsenelemente ausbrechen lassen, um die Brennweite auf eine gewünschte Brennweite zu verlängern. Auch die Fertigung ist einfacher als bei Typ C. Bei Typ B muss die Halblinse, die näher am Fokus steht, eine kürzere Brennweite haben und daher mehr Linsenelemente enthalten als die andere Halblinse. Gegenüber Typ C ist Typ B allerdings stark astigmatisch, wenn die Photonenenergie E verändert wird. Das liegt daran, dass sich die Brennweiten beider Halblinsen zwar proportional zu E2 verändern, der Abstand der Mitten der beiden Halblinsen aber unverändert bleibt. Bei Typ C liegen können die Mitten der Halblinsen in dieselbe Ebene gelegt werden, was den Astigmatismus stark reduziert. Die Schrägbelichtung unter ±45° hat einige Nachteile (siehe Schrägbelichtungen im LIGA-Verfahren), daher werden heute nur noch CRLs vom Typ D gefertigt (Abb. 1, Typ D). Da sich diese Anordnung nicht direkt belichten lässt, werden die Halblinsen getrennt senkrecht zum Substrat belichtet und dann manuell zueinander positioniert und miteinander verklebt. Bei Typ D stehen die Linsenelemente auf Lücke, wodurch sich leicht Linsenelemente ausbrechen lassen, bevor die Halblinsen montiert werden.
Abb. 1: Fokussierung von Röntgenstrahlen mit refraktiven Linsen: Linienfokus (A), Punktfokus (B bis D)
Abbildung 2 zeigt eine reale Linsenplatte mit 25 verschiedenen Linienfokuslinsen (Typ A), die am Institut für Mikrostrukturtechnik (IMT) an der Forschungszentrum Karlsruhe GmbH hergestellt wurde [Naz 2004]. Die Anzahl an fokussierenden Einzellinsenelementen in den einzelnen Linsenreihen variiert zwischen 3 und 128.
Abb. 2: Beispiel einer Linsenplatte mit 25 refraktiven LIGA-Röntgenlinsen mit Linienfokus (links ) und Detail der Linsenelemente und deren Spiegelung im Substrat (rechts), ©01
Abbildung 3 zeigt eine Makroaufnahme einer Linsenplatte aus Silizium mit 16 refraktiven Röntgenlinsen (Typ B) mit Punktfokus. Jede Reihe hat eine andere Anzahl an Einzellinsenelementen mit unterschiedlichen Krümmungsradien. Für jede einzelne Linsenreihe kann die Brennweite für eine vorgegebene Photonenenergie einmalig eingestellt werden, indem eine entsprechende Anzahl Einzellinsenelemente aus der Reihe herausgebrochen wird (siehe Abb. 4). Dabei lassen sich die horizontale und die vertikale Brennweite getrennt voneinander einstellen. Die Brennweite kann dabei nur verlängert werden und das Entfernen von Einzellinsenelementen ist natürlich irreversibel. Die nicht benötigten Linsenelemente werden manuell mit einer Nadel umgestoßen und dann weggeblasen (Abb. 4). In der Mitte der Linsenplatte befinden sich Strukturen zur Ausrichtung der Linsen im Röntgenstrahl. Die mit diesen Linsen erreichte Bildauflösung in der Vollfeldmikroskopie lag 2017 bei 180 nm pro Linienpaar.
Abb. 3: Beispiel einer Linsenplatte mit 16 refraktiven LIGA-Röntgenlinsen mit Punktfokus (links ) und Detail mit ausgebrochenen Einzellinsenelementen (rechts), ©01
Abb. 4: Prozess des manuellen Linsenausbrechens an einer Linsenplatte mit 16 LIGA-CRLs, ©01
Abbildung 5 zeigt eine durch zwei Belichtungen unter ±45° gefertigte Punktfokus-CRL (Typ C) und den damit erzeugten Fokus. Die nutzbare Apertur der CRL befindet sich in dem Bereich, in dem sich die Parabeloberflächen kreuzen, in Abbildung 5 rot markiert.
Abb. 5: Unter ±45° prozessierte CRL mit Punktfokus (links) und Punktfokus einer Linse im Strahl, die eigentliche Apertur der CRL ist rot markiert (rechts), ©01
Abbildung 6 zeigt eine gesägte Siliziumplatte mit sieben Reihen Röntgenlinsen. Zum Sägen wird der Siliziumwafer auf eine blaue Adhäsionsfolie geklebt, die später abgezigen wird. Die Halblinsen sind bereits im Layout so angeordnet, dass man sie direkt ineinanderschieben kann.
Abb. 6: Gesägte Siliziumplatte mit sieben Reihen Röntgenlinsen
Hartmann-Shack-Sensoren und Multi-CRLs
Das lithografische Fertigungsverfahren erlaubt eine freie Wahl der Geometrie der brechenden Oberflächen. Abbildung 7 zeigt eine Anordnung aus 18 x 18 parallelen CRLs (analog zu Typ D), die als zusammenhängende Blöcke strukturiert werden. Einfallende parallele Röntgenstrahlung erzeugt hinter der als "Hartmann-Shack-Sensor" bezeichneten Optik ein Raster aus 18 x 18 Fokuspunkten. Wird eine zu untersuchende Probe nahe der Optik in den Strahl gebracht, führen Schwankungen im Brechungsindex der Probe zu einer geringen Verschiebung der Position dieser Fokuspunkte. Aus der lokalen Verschiebung der Fokuspunkte lässt sich ein Bild der Probe berechnen.
Abb. 7: Hartmann-Shack-Sensor, eine Anordnung aus 18 x 18 parallelen CRLs, ©01
Eine ganz ähnliche Anordnung zeigt Abbildung 8. Hier sind 9 x 9 CRLs so angeordnet, dass alle CRLs auf einen Punkt links der Multifokus-CRL ausgerichtet sind. Steht ein Probe in diesem gemeinsamen Punkt, erzeugt die Multifokus-CRL 9 x 9 Bilder der Probe auf einem Detektor rechts der Optik. Dadurch wird ein größerer Teil der einfallenden Strahlung zur Abbildung genutzt, als wenn nur mit einer einzigen CRL abgebildet würde. Die 81 Einzelbilder können dann zu einem einzigen viel helleren Bild zusammengerechnet werden.
Abb. 8: Multifokus-CRL mit 9 x 9 CRLs, ©01
Da die optische Weglänge durch das Linsenmaterial für die Randstrahlen bei parabolischen Profilen proportional zum Quadrat der Linsenapertur zunimmt, ist die maximale nutzbare Apertur durch die Absorption des Materials meist auf einige hundert Mikrometer begrenzt. Der für die Funktion der Linsen genutzte Effekt der Brechung findet an der Oberfläche der Linsenelemente statt. Größere Aperturen sind daher möglich, wenn Linsenmaterial aus den Innern der Linsen entfernt wird, wie in so genannten Fresnel-Linsen (Abb. 9).
Abb. 9: Die Entstehung von Fresnel-Linsen: a) parabolisches Profil, b+c) Material, das entfernt werden kann, ohne die optischen Eigenschaften wesentlich zu verändern, d) kompakteres Design durch Zusammenschieben der verbleibenden Elemente, e) Umklappen jedes zweiten Elements, damit Lösungsmittel bei der Entwicklung leichter eindringen kann
Fresnel-Mikrolinsen sind technisch schwer zu realisieren, da die sehr dünnen, fast dreieckigen Strukturen (Abb. 10) in den Randbereichen bei der Belichtung verrunden oder bei der Entwicklung deformieren. Diese Effekte reduzieren die Effektivität der Linsen in den Randbereichen und begrenzen damit wiederum die maximal nutzbare Linsenapertur.
Abb. 10: Galvanisierte Fresnel-Linienfokuslinse aus Nickel für hohe Photonenenergien mit Linienfokus, ©01
Um einen Punktfokus zu erzeugen, werden zwei Linienfokus Fresnel-CRLs, um 90° um die optische Achse gedreht, hintereinander positioniert. Die Abbildungen 11 und 12 zeigen solche Fresnel-CRLs (entsprechend Typ D in Abb. 1).
Abb. 11: Elektronenmikroskopische Aufnahme einer Fresnel-CRL aus Polymer, ©01
Abb. 12: Foto einer Fresnel-CRL aus Polymer, ©01
Ein anderes Konzept für großaperturige Linsen sind so genannte Mosaik-Linsen. Dabei wird gegenüber den parabolischen Linsen Material derart entfernt, dass in den Randbereichen nur kleine, fast dreieckige Teile des parabolischen Profils stehen bleiben (Abb. 13).
Abb. 13: Mosaik-Linsen mit großer Apertur und Punktfokus; da das Siliziumsubstrat reflektiert, spiegeln sich die Mikrostrukturen im Substrat, ©01
Clessidra-Linsen und refraktive Prismenlinsen
So genannte Clessidra-Linsen ermöglichen ebenfalls große Aperturen (Abb. 14, [Jar 2008]). Die äußere Form dieser Linsen erinnert an eine Sanduhr. Das italienische Wort für Sanduhr, "Clessidra", hat den Linsen ihren Namen gegeben. Nahe der optischen Achse treffen die Röntgenstrahlen auf einige wenige brechende Prismen und werden in den Fokus umgelenkt. Um so weiter entfernt von der optischen Achse die Röntgenstrahlen die Linse treffen, um so mehr Prismen durchlaufen sie und um so größer ist die Änderung ihrer Richtung.
Abb. 14: Skizze einer Clessidra-Linse
Die größten Linsenaperturen mit der höchsten durchschnittlichen Transmission lassen sich mit refraktiven Prismenlinsen erzielen (engl: X-ray refractive prism lenses, XPL) [Sim 2008]. Diese Linsen bestehen aus zehntausenden Prismen deren Grundfläche gleichseitige Dreiecke sind. Die Prismen sind in einer anderen Geometrie angeordnet als bei den Clessidra-Linsen, um eine noch höhere Transmission zu erzielen (Abb. 15). Jedes durchlaufene Prisma ändert die Strahlrichtung um einen sehr kleinen Winkel. Da die Prismen in einer Reihe einen konstanten Abstand zueinander haben, durchlaufen die Röntgenstrahlen die Prismenfelder annähernd auf Kreisbahnen. Jedes Prisma muss genau auf dem gekrümmten Weg des Lichts durch die Linse positioniert werden, wobei die Prismen auch entsprechend der Kreisbahn geringfügig gedreht stehen.
Abb. 15: Skizze einer refraktiven Prismenlinse und Details der Prismenfläche
Abbildung 16 zeigt die simulierte Intensitätsverteilung in verschiedenen Abständen hinter dem Modell einer refraktiven Prismenlinse aus nur 170 Prismen. Die Breite der hellen Fokuslinie (rot) in der 5. Ebene hinter der Linse entspricht etwa der Höhe der Prismen senkrecht zum Strahl. Die Linien im Untergrund neben der Fokuslinie stammen von Licht, dass die Linse zwischen zwei Prismenreihen getroffen hat. Die hellblauen rechten und linken Ränder der jeweiligen Ebene entstehen durch Licht, das die Linse nicht getroffen hat. Dieser Farbton steht für die Helligkeit, die in der jeweiligen Ebene ohne die Linse herrschen würde.
Abb. 16: Simulierte Intensitätsverteilung hinter dem Modell einer refraktiven Röntgenprismenlinse
Soll mit einer solchen Prismenlinse ein Punktfokus erzeugt werden, so werden zwei der röntgenlithografisch gefertigten Prismenlinsen um 90° um die Strahlrichtung gedreht hintereinander angeordnet. Um die Eintrittsapertur voll ausnutzen zu können, muss dabei die Breite der Optik senkrecht zur Strahlrichtung mit der Höhe der Prismen übereinstimmen. Bei einer Apertur von beispielsweise 1 mm x 1mm ergeben sich dadurch Prismen mit einer Höhe von 1 mm Höhe. Röntgentiefenlithographisch technisch noch gut realisierbar sind Prismen mit 20 µm Kantenlänge. Damit haben die Prismen ein Aspektverhältnis von 1:50. Da die Strukturen nach der Belichtung nasschemisch entwickelt werden, müssen sie danach trocknen. In diesem Schritt treten Kapillarkräfte zwischen den Prismen auf, die dazu führen, dass die Prismen deformiert werden, zusammenkleben und damit die Optik schlecht funktioniert. Der Effekt lässt sich durch Gefriertrocknung reduzieren. Eine weitere Verbesserung bringen 10 µm bis 20 µm starke Stützebenen, die man unter 45° gekippt zu den Prismen einbelichtet (Abb. 17). Die Prismen sind in den benachbarten Ebenen beidseitig fixiert (außer in der obersten Schicht), so dass sie den Kapillarkräften standhalten. In dieser ersten Version der Röntgenprismenlinsen durchläuft die einfallende Röntgenstrahlung alle Stützebenen. Dies führt zum einen zu Absorption. Ein zweiter Nachteil ist, dass einige Photonen, die in Abbildung 16 von links in ein Prisma eintreten, auf der Prismenrückseite nicht aus dem Prisma, sondern aus der Stützebene austreten und damit nicht nur in die gewünschte Richtung abgelenkt werden, sondern auch nach unten. Dies erhöht den Anteil an Streustrahlung hinter der Optik erheblich.
Abb. 17: Linienfokus-Prismenlinse mit 20 µm Prismen und 45°-Stützebenen. Links Foto: in der linken Bildhälfte mit Stützebenen stehen die Prismen ordentlich, in der rechten Bildhälfte fehlen die Stützebenen und die Prismen stehen unordentlich. Rechts REM-Aufnahme der Stützebenen , ©01
Um die Nachteile der Stützebenenanordnung in Abbildung 16 zu reduzieren, stehen die Stützebenen der aktuellen XPL-Version (Abb. 18 und 19) unter ±45° gekreuzt und parallel zur optischen Achse. Photonen, welche die Stirnseiten der Stützebenen treffen, werden absorbiert. Alle anderen Photonen durchlaufen die Prismenreihen ohne Störung durch die Stützebenen.
Abb. 18: Röntgenprismenlinse mit Stützebenen, die unter ±45° parallel zur optischen Achse stehen; das Maus-drüber markiert die Strahlrichtung gelb, die Stützebenen blau und die Fläche mit den Oberseiten der Prismen orange ©01
Abb. 19: Röntgenprismenlinse mit Stützebenen, in Strahlrichtung gesehen ©01
[Jar 2008] | W. Jark, F. Pérennès, M. Matteucci, L. De Caro, CLESSIDRA: focusing hard x-rays efficiently with small prism arrays, Modern Developments in X-Ray and Neutron Optics, Springer Series in Optical Sciences , Band 137, S. 331-351, Springer (ISBN: 978-3-540-74560-0), 2008 |
[Naz 2007] | V. Nazmov, E. Reznikova, A. Last, J. Mohr; V. Saile, M. DiMichiel, J. Göttert, Crossed planar X-ray lenses made from nickel for X-ray micro focusing and imaging applications, Nuclear Instruments and Methods in Physics Research A, 39306, S. 120-122, DOI: 10.1016/j.nima.2007.08.076, 582, 2007 |
[Naz 2004] | V. Nazmov, E. Reznikova, A. Somogyi, J. Mohr, V. Saile, Planar sets of cross x-ray refractive lenses from SU-8 polymer, Proceedings of SPIE, Band 5539, S. 235-243, 2004 |
[Sim 2008] | M. Simon, E. Reznikova, V. Nazmov, A. Last, W. Jark, X-ray prism lenses with large apertures, Proc. SPIE, Band 7077, 70771Q, DOI: 10.1117/12.795423, 2008 |